Wenn der Funk verstummt
Dienstag, 16.1.24
Die Sonne scheint, von Musik und knarzenden Funksprüchen begleitet schaukeln wir auf 2 m hohem Schwell Richtung Süden. Nicht ganz: bei Südwind müssen wir kreuzen. Das ist bei aktuell 10 kn Wind etwas mühsam und lässt den Eindruck entstehen, dass wir uns unserem Ziel kaum nähern. Eine kleine Theorieeinheit zum Kreuzen besänftigt einige Zweifel.
Die erste Nacht auf See liegt hinter uns. Von 4-8 Uhr hatten Kai und ich Wache. Bei bis zu 8 kn Fahrt (woran Uli zweifelt) rauschten wir durch eine Glitzerspur: in unserem Fahrwasser leuchtet und glitzert Discoplankton. Helga musste ihre Queensize Koje im Bug verlassen, weil die Anuk auf jede siebte Welle gedonnert ist. Kaum Schiffsverkehr, am Horizont Wetterleuchten, kein Flugzeug am Himmel, auch der Funkverkehr verstummt. Unglaublich wie schnell die Zeit vergeht, nur durch sitzen, gucken, staunen und gelegentlich Kurs und Segel anpassen. Der Schlaf vorher war unruhig. Gerda und ich schlafen im Setzkasten: Bretter verhindern, dass wir aus der Koje oder übereinander kullern. Als ich kaum noch auf der einen Seite liegen konnte wurde endlich gewendet: also in die andere Ecke der Koje kuscheln.
Einige von uns kämpfen mit Seekrankheit, aber wir haben Glück: unsere Tage auf See beginnen mit sehr moderaten Bedingungen. So können sich unsere Gleichgewichtssysteme an die Schaukelei gewöhnen. Nach 24 h auf See fühle ich mich angenehm runtergedimmt, Uhrzeit spielt nur für den Wachwechsel eine Rolle. Wir wechseln alle vier Stunden, so dass jede*r acht Stunden Freiwache hat. Nur Uli ist auf Abruf, schläft im Salon und ist immer die Erste, die zur Funke hechtet um den DSC Alarm auszumachen.
Freitag, 19.1.24
Die letzte Nacht war etwas ruppiger. Schlafen war nur eingekeilt im Setzkasten möglich, unterbrochen von besonders garstigen Wellen, die unter Deck alles zum Klappern und Fliegen brachten. Gestern Abend frischte der Wind bis zu 30 kn in Böen auf. Dazu Regen, größer hätte der Kontrast zu den Stunden zuvor nicht sein können. Spiegelglatt war das Wasser seit Mittwoch. Auf dem alten Schwell schob uns der Motor Richtung Süden. Mitunter schaukelte sich die Anuk richtig auf. Dann schwankte der leere Mast wie das Pendel eines Hypnotiseurs.
Mittwoch Abend besuchten uns pünktlich zum Sonnenuntergang Delfine. Aus allen Richtungen kamen sie herbei um in der Bugwelle der Anuk zu spielen. Bis zu 15 Delfine begleiteten uns vor der roten Abendsonne. Manchmal ist die Realität kitschiger als jedes Romantikplakat. Wenigstens zum Badestopp konnten wir die anhaltende Flaute nutzen. Fender an Schwimmleine hinten raus und rein ins nasse Vergnügen, unter uns rund 4000 m tiefes Blau, um uns bis zum Horizont nur Wasser und Himmel.
Unser Bewegungsdrang wird immer stärker, also raus aufs Vordeck zur Yogaeinheit. Bei ca. 3 m Welle eine besondere Herausforderung: der Baum und die Kriegerin gehen nur mit Festhalten. Gerda lässt sich zu einem gedehnten oooohm hinreißen. Mit Erfolg: es nähern sich prompt wieder Delfine. Immer mehr fliegende Fische schweben an uns vorbei, mitunter landen sie an Deck. Einer wird gerettet, die anderen im Dunkeln zu spät entdeckt, so bleibt nur noch die andächtige Seebestattung.
Dienstag, 23.01.23
Nach unserem Landfall nach fast 7 Tagen schlafen wir die erste Nacht halbwegs ruhig vor Anker in der Bucht von Palmeira. Beim morgendlichen Schnorcheln schwimmt mir eine Schildkröte davon. In den nächsten Tagen wird allerdings das Wasser durch den sandigen Wind so trüb, dass kaum noch was zu entdecken ist. Wir machen das Dinghi klar und fahren rüber an Land. Was für eine Atmosphäre: Kap Verde empfängt uns mit Musik, lauten Stimmen und dem Geruch von frischem Fisch. Überall steht das Motto der Inseln: „no stress!“, vermutlich vor allem an erlebnishungrige Tourist*innen gerichtet.
Am nächsten Tag lichten wir wieder den Anker und segeln eine Bucht weiter Richtung Süden. Endlich wieder segeln! Bei bis zu 28 kn Wind rauschen wir an der sandigen felsigen Küste entlang. Leider ist bei so starkem ablandigem Wind an Landgang mit dem Dinghi nicht zu denken. Wenigsten trauen wir uns mit extra langen Flossen ins Wasser, auf der Suche nach Schildkröten, leider erfolglos. Die Farben hier wirken als hätte jemand beim Druck einen Farbkanal vergessen: sandiges Gelb in allen Schattierungen, dazu türkis und blau von Himmel und Wasser. Die Crew lümmelt auf und unter Deck, lesend, schlafend, sinnierend – la dolce vita in der Sonne. Abends sind wir zurück in der Ankerbucht vom Palmeira.
Donnerstag, 25.01.23
Gestern beherrschte Betriebsamkeit das Schiff, überall wurde repariert, geölt und geputzt um die Anuk für die nächste Etappe vorzubereiten. Nachmittags hingen wir in der Bar mit kühlem Bier: Atmosphäre tanken, schlafende Hunde und vergnügte Menschen beobachten. Anschließend gönnten wir uns ein opulentes Fischmahl, umschwirrt von einem Rudel Katzen unterm Tisch.
Um uns herum wird die Luft heute immer trüber: eine feine Schicht roter Staub legt sich auf alles. Die Sonne ist nur noch ein milchiger weißer Kreis. Heute heißt es packen, aufräumen, waschen und Abschied nehmen. In kaum einer Situation wird man sich so schnell vertraut wie auf hoher See auf einem Boot, ohne die Möglichkeit an Land zu gehen. Wir sind dankbar für unser Miteinander, die gute Atmosphäre der letzten Tage, und vor allem Skipperin Uli, der wir ausnahmslos vertrauen konnten. Gerda, Helga, Kai, Christian, Uli – mit Euch würde ich jederzeit wieder in See stechen!
Text: Betty