Teil 2/2

Unter Hunden… endlich (18.08.2023) Weiterflug nach Grönland. Im Landeanflug die ersten Eisberge. Sonne scheint. Krasse Landschaft. Überwältigt. Der Flugplatz mitten im Nirgendwo, ursprünglich von den Amis im Zweiten Weltkrieg gebaut, wie viele Flugplätze auf Grönland. Gepäck bringt der Trekker vom Flugzeug ums Haus rum (vor die „Abflughalle“) -> Kannste Dir selber raussuchen. 20min zu Fuß zum Dorf Kulusuk, vorbei am Hotel Kulusuk, wo die meisten Touris absteigen, die erstmal in hierbleiben. Unser erster Anlauf-Punkt: Pilersuisoq (der Supermarkt). Gepäck abstellen. Rundgang durchs Dorf auf der Suche nach den Guesthouses. Wir finden nichts! Fragen in der Verwaltung: „Call, Bent. I give you the number.“ Nach hin und her telefonieren – Bent ist unterwegs –, stellen wir unser Zelt in der Nähe seines Guesthouses auf mit der Option, am nächsten Tag ins Haus zu wechseln. Später ruft er uns von weitem zu. „Are you looking for Bent? I’m Bent.“ Auch in der zweiten Nacht bleiben wir im Zelt. Liegen weich auf Gras. Wasser vom Wasserhäuschen. Als Toilette die 5min entfernte Müllhalde. Jedes Dorf hat einen Ort – etwas abseits -, wo der Müll hin gekippt wird. Alles! Aber auch in den Siedlungen liegt einiges: Plastik, Glasscherben und Dosen, Leinen, Paletten, kaputte Außenborder und Snowmobile. In Tasiilaq sehen wir alle paar Tage, wie Müll angeliefert wird und dann auf die Halde gebracht wird. An anderen Orten gibt oder gab es Müllverbrennungsanalagen.

Kulusuk wirkt irgendwie traurig. Ein Einheimischer erzählt: „Alle, meine Verwandten sind Alkoholiker, ich nicht!“ Einmal sehe ich einen Mann rücklinks auf der Straße liegen. Voll breit. Beim Aufrichten muss ich ihn stützen, damit er nicht sofort wieder umkippt. Kommunikation schwierig. Laufe mit ihm in die Richtung, in die er zeigt. Eine Frau reicht ihm ein Paket, entschuldigt sich fünfmal bei mir. „Sorry, he is drunk!“ Nach ein paar Minuten kann er wieder alleine torkeln. Später hebt ihn nochmal jemand auf. Kinder fahren mit dem Fahrrad durch die Gegend, kicken auf dem Fußballfeld oder ärgern Hunde-Welpen. Leute laufen hin und her, aus dem Pilersuisoq werden palettenweise Bierdosen abgeschleppt, die nur hinter dem Tresen stehen. Hunde bellen, jaulen. Drumherum Wahnsinns-Landschaft: Hohe Berge mit Gletschern; Spaziergang zum Aussichtspunkt, zwei junge Hunde begleiten uns; Blick auf den Atlantik und Fjord mit Eisbergen. Alles ist ‚irgendwie‘ farbiger, klarer.

Nachmittags kommt ANUK. Juchu! Wir werden zum Abendessen eingeladen, bekommen für die nächsten zehn Tage Gaskartuschen (im Pilersuisoq/Kulusuk gab’s keine) und weiteres Outdoor-Food. Können schon mal die ANUK streicheln 😊, unser Törn beginnt erst Ende August. Am nächsten Tag Crew-Wechsel auf der ANUK: Axel, Jens und Peter steigen aus, Uta, Lucia und Henri kommen an Bord. Gunter und ich können am Tag darauf bis Tasiilaq mitfahren, sind dann an Land unterwegs.

Tasiilag, die größte Siedlung in Ost-Grönland. Sehr hügelig, durch das Dorf geht’s rauf und runter. (müssen die hier fit sein!) Irgendwie sind hier alle busy. Das Versorgungsschiff – die Royal Artic – kommt alle paar Tage. Container werden verladen. Kommen und Gehen im Pilersuisoq. Viele Tourist*innen. Erstaunlich viele Autos, viel schweres Gerät (Bagger, etc.), sogar ein Taxi! Später beobachten wir, dass es im Minutentakt Leute mit ihren Einkäufen abholt.

Wir zelten im Basecamp vom Red House mit Blick auf den Fjord, neben dem Heli-Point. Viele Leute, die in Kulusuk ankommen (Gepäck vom Trecker runter zuppeln, zurück übers Rollfeld zum Helikopter), fliegen gleich weiter nach Tasiilaq. Flugdauer ca. 10min, mit dem Schiff halbe/dreiviertel Stunde, mit der ANUK drei Stunden. Mehrmals am Tag hören wir die Rotoren. Zwei Tage war Ruhe. Da war Nebel. Blöd für die Leute, die einen Flieger in Kulusuk kriegen wollen, wie unsere Zeltnachbarn (zwei Franzosen) und auch andere. Hektisches Hin- und Hergerenne- und gefahre. Das Boot will Bargeld, Geldautomaten gibt’s nur beim großen, weiter entfernten Pilersuisoq. Und die funktionieren öfter mal nicht. Internet weg -> kein Bargeld! Schlange vor den Automaten. Geht er wieder? Sie haben Glück. In Grönland musst du immer mit Luft planen. Das wurde ja schon mehrfach im Blog beschrieben.

Die ANUK legt in Tasiilaq einen Waschtag ein, fährt irgendwann weiter. Der Plan: die Insel Angmagssalik umrunden, den vorhergesagten Stark-Wind bei Tiniteqilâq abwettern. 9 Tagen später holen sie uns wieder ab, zurück nach Kulusuk für den nächsten Crew-Wechsel.

Gunter und ich machen uns auf die Suche nach dem Red House. Es liegt im oberen Teil vom Dorf. Robert Peroni, der Betreiber, ist gerade einkaufen, erfahren wir. Vier Wiener zurück von einer 14-Tages-Tour warten auch auf ihn für Abrechnung und Nachbesprechung. Eisbären? Sie hätten keine gesehen, auch keine Spuren, aber Gewehr hatten sie dabei. Einer behauptet, hier gäbe es keine! Er wäre schon ein paar Mal hier gewesen und hätte nie welche gesehen!… Hm! Später sagt Robert, im Umkreis von 3-4km um Tasiilaq seid ihr sicher. Bin trotzdem nervös. Wer weiß schon, ob sich Eisbären an Umkreise halten? Deshalb leihen wir uns ein Gewehr. Einweisung: „DER BÄR… greift nie von vorne an, es sei denn…ja, es denn, er ist wütend, krank oder sonst irgendwie komisch drauf.“… Hm!… „Auf gar keinen Fall mit Schrot auf den Bär zielen. Dann wird er sauer! Du musst mit dem In-die-Luft-Schießen warten, bis sich der Bär auf 10m genähert hat!“ Ach, du Scheiße: 10 Meter! Warum? „DER BÄR hört nicht so gut!“ Wir bekommen noch einen wasserdichten Sack dazu. Gibt’s nicht was mit Riemen? Ein Gewehr länger auf der Schulter zu tragen, sieht nur cool aus, ist aber sehr unbequem, sagt er lächelnd. Ja, die Touris… nur die rennen in Tasiilaq mit Gewehr rum. Und nur die Touris – vor allem die Neuangekommenen – laufen mit großen Augen rum und grüßen niemanden, allen voran die Gäste der Kreuzfahrtschiffe. Und davon gibt’s viele. Fast jeden Tag ankert ein anderes in der Bucht, bringt die Leute für ein paar Stunden an Land und fährt dann weiter. Einen Tag sehen wir ein komisches Kreuzfahrtschiff. Gunter nennt es ‚obszöne‘: Etwas kleiner als die anderen; spuckt schwarze Schlauchboote aus, die ums Schiff kreisen; eines auf der anderen Seite vom Fjord, wollen die angeln? Irgendwann fährt ein Schlauchboot mit mehrere Seekajaks im Schlepp an uns vorbei, ein paar Stunde später wieder zurück. Ein Hubschrauber startet von dem Schiff, dreht ein paar Runden. Kein Landgang. Irgendwann sehen wir eine Drohne und hören Schüsse, die wir dem ‚obszönen‘ Schiff zu ordnen. Wir vermuten, Oligarchen-Jacht.

Mit Gewehr im Gepäck machen wir uns in den Tagen in verschiedene Richtungen auf. Stellen immer wieder fest, unsere Ziele/Wegmarken sehen näher aus als sie tatsächlich sind. Sind oft länger unterwegs als angenommen, bewundern die Landschaft: viele Seen, überall Wasserläufe und Wasserfälle, Gletscherzungen in der Ferne.

Um Tasiilaq herum – wie um alle Dörfer – sind Hunde an Ketten. Auch in der Nähe von unserem Zelt liegen 10-15 an Ketten und ein ‚Freigänger’, hat sich scheinbar losgerissen, lässt sich nicht einfangen, bleibt trotzdem bei seinem Rudel, kam hin und wieder an unserem Zelt vorbei. Welpen haben es besser: können frei rumlaufen, sind zutraulich, lassen sich streicheln, knabbern an den Klamotten, laufen manchmal ein Stück mit. Wir haben uns oft in den einen oder anderen verguckt. Die toten Robben, die in Bündeln im Wasser lagern, sind für die Hunde. Wenn sie denken, es könnte gleich was geben, Gejaule und Gebell, aufgeregtes Gezerre an den Ketten. Die Hunde kommen im Winter zum Einsatz, als Schlittenhunde. Im Sommer liegen sie scheinbar nur rum, haben nichts zu tun.

Nachricht von Thomas: Er hängt krank in Reykjavik rum. Das Hotel in Tasiilaq kann er nicht stornieren. Wenn Gunter und ich wollen, können wir es nutzen. 15min Fußweg vom Zeltplatz liegt es am höchsten Punkt von Tasiilaq. In der Hotel-Lobby fühlen wir uns sofort fehl am Platz: Schicke Bar, Sessel mit Robbenfell überzogen, schöne Bilder an den Wänden, ein Souvenir-Shop. Alles sauber. Und wir ungewaschen mit unseren Dreckklamotten. Auf der Terrasse ein paar aufgedrehte US-Amerikaner*innen, gerade angekommen, bewundern die Aussicht. „Where are you from? You are here for trekking? Nice!“ Sie waren mit dem Heli angekommen, mit dem Auto abgeholt, samt Gepäck zum Hotel gefahren worden, vermutlich noch keine drei Schritte im Ort gemacht. Wir reden mit dem Manager. Nein, stornieren ist nicht möglich. Ist via booking.com ohne Rücktritt gebucht. „We have the work, they take the money!“ Aber ihr könnt das Zimmer nutzen. Cool: Zwei Nächte ohne Wärmflasche ins Bett und… warm duschen!

Am Tag als wir auf die ANUK wechseln, aufräumen, lüften, zusammenpacken und vor allen Dingen: Wäsche waschen! Gunter zieht los zum dörflichen Waschhaus. Hier regiert Sie: Die Hüterin des Waschhauses. (s. Exkurs: Die Hüterin des Waschhauses)

Ich gebe im Red House das Gewehr zurück. „Habt Ihr es gebraucht? Besser ist nicht!“ Begleiche unsere Camping-Rechnung. Im Red House scheint die Hauptsaison vorbei zu sein. Wenig los. Im Basecamp wurden schon Bierbänke und Küchenzelt eingepackt. Mit uns zeltet nur noch eine Gruppe, die vom Kajak fahren zurück kamen.

Nachmittags kommt die ANUK, liegt wieder vor Anker. Diesel tanken. Wir beziehen unsere Kojen und erzählen uns von den letzten Tagen. Plötzlich kommt ein Schiff vorbei: „I have something for you!“ Henri bekommt sein Gewehr geliefert. Früh am nächsten Morgen holt er seinen Hund ab: Dumbo, eine Hündin. Beide fahren mit bis nach Kuummiit, wo er mit seiner Wanderung starten will.

Gunter, Thomas und ich starten unsere Reise mit der ANUK.

Text: Carola

Exkurs: Die Hüterin des Waschhauses

Sie ist Mitte fünfzig, ca. 1m55 groß, etwas gedrungen.

Sie sitzt sie auf ihrem Bürostuhl, die Waden auf der Kante des Schreibtisches, die Füße hängen in der Luft. Sie häkelt, rechts von Ihr steht Ihre Kasse.

Sie ist die Hüterin über die Dusche, mehrere Waschmaschinen und Trockner.

Ich komme zum Duschen und Wäsche waschen.

Ganz selbstverständlich betrete ich das Waschhaus, ist doch ein öffentliches Gebäude, Sie schmeißt mich raus.

Sie wird deutlich: Sie wischt gerade den Boden und ich muss die Schuhe ausziehen, bevor ich eintreten darf.

„You next“ begrüßt sie mich dann und ich begreife, die ältere Frau auf dem Rollator vor dem Haus will duschen und ist vor mir dran.

Nachdem ich Anweisung erhalten habe, wo ich meine Schuhe hinstellen soll, darf ich auf Strümpfen das Haus betreten. Sie weist mir eine Waschmaschine zu, fragt, ob ich Waschpulver habe und holt, als ich verneine, Pulver. Sie fragt „Normal“, die Maschine zeigt 40 oder 60 Grad, ich zeige auf 40, Sie sagt nochmal „Normal“ und nickt.

Nun möchte ich eine rauchen und setze mich vor´s Waschhaus auf die Treppe. Sie schickt mich auf die andere Straßenseite. Schuhe anziehen, zu einem Stein laufen, rauchen. Wieder rüber zum Haus, Schuhe ausziehen, eintreten.

Jetzt entdecke ich das Schild: Kaffee 8 Kronen. Ich bin begeistert und bestelle einen. Als Ich sehe, wie Sie die Kaffeemaschine bedient versinke ich in Depressionen: Zwei Esslöffel Kaffeepulver auf eine ganze Kanne? Ich bin entsetzt. Dann ist der Kaffee durchgelaufen und ich bin glücklich: Zwei Esslöffel Pulver für zwei Tassen Kaffee.

Kaffee einschenken, Schuhe anziehen, zum Stein laufen, frischen, guten Kaffee trinken, noch eine rauchen. Zurück zum Haus, Schuhe ausziehen, in den Wartebereich setzen. Wieder sagt Sie: „You next“ und fängt an die ältere Frau in der Dusche zu drängeln. Mittlerweile habe ich das Schild entdeckt, dass die Duschzeit auf 15 Minuten beschränkt.

Nach dem Duschen hänge ich mein Handtuch über einen Stuhl zum trocknen und gehe noch eine rauchen. Als ich zurückkomme und die Schuhe ausziehen will wehrt Sie dies ab. Ich verstehe, der Boden ist getrocknet, der Schuhabstreifer an seinem Platz.

Das benutzte Handtuch hat Sie zwischenzeitlich zur Wäsche in den Trockner geworfen.

Zwischenzeitlich kommt ein Wagen der örtlichen Feuerwehr, Sie geht an das Seitenfenster, empfängt einen Beutel Dreckwäsche und wirft ihn in eine Maschine.

Die zweite Tasse Kaffee spendiert Sie mir.

Sie ruft mich zu sich, zu Ihrer Kasse, trägt mich als Nummer 2 des Tages ein und addiert: Duschen, Waschpulver, Wäschewaschen, dieselbe trocknen, einen Kaffee: 102 Kronen. Ich reiche Ihr 200 Kronen. Sie zeigt mir Münzen, um mich zu fragen, ob ich Kleingeld habe. Als ich verneine holt sie zwei Kronen aus ihrem Geldbeutel, die Kasse muss ja stimmen und reicht mir 100 Kronen wieder zurück. Ich bedanke mich, Sie fragt noch in gebrochenem Englisch, ob ich Kinder habe. Wir verabschieden wir uns herzlich voneinander.

Text: Gunter